SY: inkus, Sailhorse
Skipper: Inken Greisner & Markus Willkomm
Vom 29.6. bis 18.7.2020 = 20 Tage (ca 350 sm)
Zahlen: max 10,6 kn/längster Segeltag 8:50 Std für 39 sm/6 Schleusen/25 Brücken mit Mastlegen
Reiseroute: Potsdam > Werder > Brandenburg > Ziegenwerder (Anker) > Rathenow > Strodehne > Havelberg > Schnackenburg/Elbe > Hitzacker > Boizenburg > Lauenburg > Geestacht > Hamburg City-Hafen > Glückstadt > Cuxhaven > Glückstadt > Stade/SC Diamant > Wedel

2020 inkus strecke

»was wir schon immer mal machen wollten« ... dieser Corona-Sommer 2020 macht es möglich.
Italien, England, Griechenland oder Schweden – vielleicht im nächsten Jahr.

Brauchen wir jetzt einen Motor? Nein, es bleibt ein Stinktier und E-Motoren brauchen auch Strom. Ostwind hatten wir letzte Woche, jetzt strammer West, aber immerhin fließt die Havel ja »bergab« und die Elbe strömt, zur Not paddeln wir eben ein Stück, oder machen Pause.

Wir fahren das Auto mit dem leeren Trailer zum Hamburger Yachtclub nach Wedel (dem Heimatclub von Ursi & Werner), dann mit der Bahn zurück nach Potsdam. Unser Ziel ist damit definiert. Die Bürotische freiarbeiten, letzte Telefonate – es wird 16 Uhr bis wir am Montag ablegen können auf dem heimischen Tiefen See in Potsdam. Gleich den Mast gelegt und paddeln beim Fischer vorbei. Das Schild: links zur Nordsee, rechts zur Ostsee fand ich immer kurios – jetzt ist die Nordsee unser Ziel!

Erstmal treideln wir durch die »Alte Fahrt« (Stroh von der kontrollierten Weltkriegsbomben-Explosion am vergangenen Freitag hängt noch in den Büschen) Nikolaikirche, Eisenbahnbrücke, dann können wir wieder segeln. Schon 19 Uhr – statt bei Dieter am Campingplatz Sanssouci anzulegen, lieber noch an Caputh vorbei. Im warmen Abendlicht legen wir bei »Prinz Heinrich« in Werder an. In Fahrradentfernung von zu Hause fühlen wir uns schon sehr weit weg – der Urlaub hat begonnen!

Im Lee der Insel Werder legen wir morgens zeitig ab, auf Halbwind rauschen wir los. Die Autobahnbrücke und Kezin passiert, danach dann: kreuzen kreuzen kreuzen. 4–7 Bft West voll gegenan. Ab und zu müssen wir rückwärts segeln um das Ruder und den Kiel von Schlingkraut zu befreien. Nervig, aber eine gute Übung! Die Havel hat hier einen völlig anderen Charakter als noch am Wannsee oder auch in Potsdam – plötzlich schon die Schleuse vor Brandenburg – wir sind nach 7 Stunden kreuzen so erledigt, dass wir erst morgen schleusen wollen. Das Restaurant in der Marina ist geschlossen. Ein Bier in der Stadt finden wir auch nicht – Corona, oder Ruhetag – dann eben an die eigenen Reserven.

Die erste Schleuse: Ruftaste für die Schleuse ist auf dem anderen Ufer – wo bis gerade doch noch viele Boote lagen. Leer. Wir wollen rüber paddeln und drüben frühstücken um die nächste Schleusung nicht zu verpassen – da sehen wir noch grünes Licht und paddeln wie besessen los – ob das zu schaffen ist? Gegen den starken Wind? Hat der Schleusenwärter Erbarmen? Da kommt von hinten noch eine Barkasse – wir schwenken die Schleppleine und der Skipper reagiert sofort. Die Schleuse schließt direkt hinter uns. Geschafft!

Martin und Bernd aus Berlin, schleppen uns durch ganz Brandenburg, mit Stadt-Bummel-Pause an der Jahrtausendbrücke (Orgelkonzert in der Katharinenkirche und Kaffee am Platz) – was haben wir für ein Glück! Herrlich, der Schlepp durch den Stadtkanal, das wäre paddelnd wesentlich anstrengender geworden. Im Breitlingsee werfen die beiden uns los – und hängen noch eine Schokoladen-Wegzehrung an unsere Schleppleine, geradezu rührend! Breitlingsee und Plauer See mit Platz zum Kreuzen, dann theoretisch auf Halbwind – wird eher am Wind. Und flaches, enges Wasser. Bei Kranepuhl brummen wir auf eine Sandbank »eine Handbreit« neben der Tonne. Mit Krängen ist nichts zu machen, Ruder raus und Kiel kurbeln. Eine Schwimmerin richtet sich auf (Wasser bis zum Bauchnabel) und schiebt uns ins Fahrwasser zurück. Wir passieren Prizerbe im Abendlicht, die Havel wird noch schmaler, meandert. Alle Übernachtungsplätze auf Inselchen im Fluss sind schon belegt.

2020 inkus SchleuseB Einfahrt

Da sehen wir ein Schild: »Kahnschleuse Bahnitz, Selbstbedienung, 2.70m breit« das passt mit unseren zwei Metern und Fender an beiden Seiten genau! Neben dem Wehr paddeln wir vorsichtig in die Schleuse, oben ein Schild mit Gebrauchsanweisung. Abenteuerlich und wildromantisch in diesem schmalen Seitenarm, segeln wir im Abendlicht um Ziegenwerder herum und suchen ein windabgewandtes Plätzchen. Die Gewitterwolken – wo kommen die plötzlich her – sind echt mächtig! Heckanker und mit der Bugleine an einer riesigen Weide festgemacht. Was ist stärker? Der zu erwartende Gewitter-Wind, Strömung des Wassers, wird der Wind drehen, ist die Baumgruppe ein guter Windschutz, oder wird das eine Düse, oder gar ein Blitzanzieher? Wir vermitteln, bauen schnell das Zelt auf und kochen bei prasselndem Regen im Boot, ein prima Ankerplatz!

2020 inkus Ziegenwerder

Am Morgen ein herrliches Bad in der Havel, vom Boot aus. (…) Rathenow (…) Industriecharme, danach wird es einsam. Noch verwunschener, wildes Blätterrauschen, Vogelgezwitscher, Gänsegeschnatter, winkende Kinder, Angler, Auen, weniger Boote. Natur pur.

Die Schleuse Grütz wird ferngesteuert aus Rathenow. Am Sportbootsteg meldet Markus uns per Sprechfunk-Anlage an. 2,5 Stunden später die nächste Schleuse in Gartz. Markus ganz routiniert, fast per Du mit dem Schleusenwärter in Rathenow. Gartz soll ein malerischer, kleiner Ort sein – ich möchte gerne dort übernachten, Markus hat Bedenken. Westliche, starke Winde, enges Fahrwasser voll gegenan – wir luven an in den Seitenarm – super schmales Fahrwasser, Seerosen gesäumt. Ein Versuch. Zum gegenan Paddeln ist der Wind zu stark, manövern können wir praktisch nicht: da hilft nur, rückwärts segeln. Markus an der Pinne schimpft, macht es aber prima: rückwärts aus der Seerosen-Gasse ausparken. Der kleine Hafen von Strodehne dagegen ist geschmeidig, im Biergarten gegenüber gibt es zwar kein Essen mehr, dafür aber reichlich Bier und einen geselligen Abend mit einem Strodehner/Züricher Ehepaar.

Bis Havelberg sind es nur 10 sm, aber wir wollen uns die Stadt ansehen, bevor es in der nächsten
großen Etappe auf die Elbe geht. Es weht heftig, ist extrem böig, sodass wir gerefft, ohne Fock segeln. Markus Schwester Ulrike und ihr Mann Hendrik winken von der Brücke in Havelberg. Sie sahen auf ihrer Radttour durchs Havelland unser kleines, gerefftes Segel zwischen Baumgruppen aufblitzen (»das können nur Markus und Inken sein«) und radelten zur 3 km entfernten Brücke.

2020 inkus Bildschirmfoto

Das ist ja ein Timing! Gemeinsamer Kaffee im Ort und dann schon wieder Verabschiedung. (…) HavelBERG. Es ist kühl und regnerisch, wenn sich ein Zimmer anböte ... ja, und was für eins! Mit Blick. Im trockenen Bett dann Wettercheck – zu viel Wind, das wird morgen ein Hafentag. Ulrike ruft besorgt an, ob wir etwa auf dem Wasser seien … es gäbe eine »amtliche Sturmwarnung« für die Region.
Auch Martina ruft an, sie ist mit Günter noch in Magdeburg … wir sind zu schnell, mit einem Treffen in Havelberg wird es wohl doch nichts. Mit Leih-Rädern erkunden wir die Gegend, setzen mit einer Gierfähre über die Elbe und radeln bis Werben, mittelalterlich, schön und menschenleer. Die große, gotischen Johanniskirche zeugt vom längst vergangenen Wohlstand (Zuckerrüben- und Getreidehandel) dieser kleinsten Hansestadt. Im Deutschen Haus dann endlich Kuchen. Morgen wollen wir auf die Elbe: Hamburg ruft!

Wir kreuzen in den Schleusenkanal, grünes Licht – dann rot, plötzlich wieder grün! Weiter mit Paddelunterstützung. Da hupt einer von hinten ... Kurs halten und nicht beirren lassen, sage ich noch, als die Wasserschutzpolizei »Europa 1« an uns vorbei fährt. Wir werden die Elbe hochgeschleust. Eine herrliche Landschaft empfängt uns, viel weiter und offener als auf der Havel, die Bäume weichen zurück, Kühe, Pferde, Wildgänse. Wir segeln gerefft: Wind gegen Strom. Wittenberge wäre schön, aber der Hafen mit hohen Spuntwänden aus Metall hält uns ab. Noch eine Brücke bis Schnackenburg, der Wind ist stärker als der Strom, das Boot dreht sich, Markus bekommt beim Maststellen Querwind, das laufende Vorstag hat sich bereits eingehängt und ich kann den Mast nicht wieder ablassen. Springe nach vorne um zu lösen, Markus hält mit Mühe den Mast, ich habe Sorge, dass er über Bord geht oder sich verletzt oder der Mastfuß bricht. Wir schaffen es, paddeln um nicht in der Außenkurve aufs Ufer gedrückt zu werden, Segel setzen und fertig. Später noch Cäppi-über-Bord-Mannöver.

In Schnackenburg, Grenzort zur ehemaligen DDR, mit erstaunlich großem Hafenbecken hinterm Deich – hier konnten die Berufsschiffer bei Eisgang überwintern, erzählt uns ein Anlieger. Und das taten besonders die Kapitäne aus dem Osten gerne. In der Clubküche kochen wir entspannt, während der Regen gegen die Scheiben prasselt. Im Ort, nix los, keine Cafes, kein Laden, aber ein Grenzmuseum. Und Mittwochs der fahrende Bäcker – wir haben Glück. Mit frischem Kuchen in unserer Brotdose legen wir ab – weit und still die Elbe, Wildgänse. Wildgänse ... Rotmilane, Enten, Kühe, Pferde gucken uns interessiert nach. Wilder Himmel. Seezeichen an Land (gelbe Kreuze) lassen uns in der Fahrrinne zwischen den Fahrwassertonnen kreuzen, die Elbe hat wenig Wasser – die meisten Spierentonnen liegen hoch und trocken an Land. Auch die Einfahrtstonne Hitzacker dient unscheinbar hinter der Fähre als Turngerät für Kinder. Stromsegeln kennen wir vom Rhein: vorhalten, Nerven bewahren und im richtigen Moment einfädeln. Jetzt versperrt uns ein Drehbrücke die Zufahrt zum Hafen. Statt den Hafenmeister anzurufen legen wir kurzentschlossen den Mast und paddeln unter der keine zwei Meter hohen Brücke hindurch.

2020 inkus Elbfahrwasser

Prasselnder Regen weckt uns am nächsten Morgen (…) In dem wirklich netten Ort gibt es wieder Geschäfte, Cafés, Lebensmittelläden und oben auf dem Berg ein wunderbares, etwas aus der Zeit gefallenes »Hotel Waldfrieden« mit Blick auf die umnebelte Elbe. Und ein freies Zimmer haben sie auch.

Wettercheck & Mails lesen. Da schreiben Mike und Helen, britische Segelfreunde, dass sie in Fehmarn seien (inzwischen Eigner eines trailerbaren Bootes) – wo wir wären, ob wir uns nicht treffen könnten. Wir verabreden uns in Lauenburg.

Am Morgen schwenkt der Hafenmeister die Brücke grüßend für uns auf, Passanten winken, während wir wieder auf den Strom gleiten. Einsam. Die schwarze Wand aus West beunruhigt uns, wir reffen und rollen die Fock weg. Im Starkregen ist die Fähre von Neu Darchau kaum zu erahnen, im kleinen Hafen (Stichkanal) wettern wir ab und segeln bei hackigem Wind weiter. Lauenburg ist uns zu weit, wir biegen in die Boitze ein, aber es zieht sich dann noch – an Industrieanlagen die Boitze hinauf. Das mittelalterliche Städtchen Boitzenburg wirkt wie ausgestorben, in den gegenüberliegenden Industrieanlagen hört man es quietschen und knarren, mal ein Ghettoblaster – aber beim Griechen im Ort tobt das Leben!

 Am 11. Juli soll es endlich über 15 Grad warm werden, stabiles Wetter, sommerlich? Als wir aus der Boize heraussegeln, müssen wir doch reffen und schon kommt die Brücke vor Lauenburg in Sicht, laut Wasserstandspegel am Brückenpfosten mit 8,90 Durchfahrtshöhe. Wir rollen die Fock weg,
Markus steht mit dem laufenden Vorstag in der Hand parat, als wir auf die Mitte der Brücke zu segeln. Wir könnten den Mast im letzten Moment sacken lassen, halten die Luft an – und sind durch. Den vereinbarten Rudersteg, den ich auf dem Satelittenbild von google maps gesehen hatte, finden wir gleich. Er liegt ideal für uns! Mike und Helen stehen schon auf dem Steg und erwarten uns – was für ein herzliches Wiedersehen, trotz Corona, wir müssen uns umarmen, nach 6 Jahren! Ein bißchen knittriger sind wir geworden, aber sonst? Gemeinsamer Stadtspaziergang, Kaffee und Kuchen und viel reden, ach wie schön sich wieder zu sehen. Es war eine tolle Zeit in Schweden! Wir hatten uns in Västervik kennengelernt: wir kreuzten naß eine Stunde lang zum Hafen auf, die beiden saßen auf ihrer Yena und hatten was zu gucken. Als wir schließlich ankamen, nahm Mike unseren Festmacher an und sagte »we‘ll have chicken and fries in about 30 minutes, is that okay for you?« Auf unserer Schweden-Reise trafen wir uns noch ein paar mal.

2020 inkus von oben

Am Nachmittag verabschieden wir uns, wollen auch die nächste schwarze Regen-Wind-Wand nicht abwarten, sonst kommen wir hier nie los ... bis Geestacht haben wir auch einmal, kurz, ausgrefft. Wir legen im Segelclub an, rechtsseitig, der liegt jetzt im Sanierungsgebiet und soll verlegt werden wegen der entstehenden Hafen-City. Drumherum nur Baustelle, ein idyllischer Bauwagen im Industriegebiet hat Currywurst und Pommes.

2020 inkus Hitzacker SchleusG

Sonntag, 12.7. Heute geht es auf die »Tide-Elbe« Hochwasser Geestacht um 11 Uhr, das ist eine freundliche für die Schleuse. Wir werden hoch geschleust, na klar, ist ja Flut »oben« und segeln bei ablaufendem Wasser gen Hamburg. Aufgeregt. Endlich sehen wir andere Segler. Am ersten avisierten Hafen Vierlande ist das Segeln viel zu schön. Wir segeln in die Norderelbe, weil uns hier weniger
Brücken aufhalten und die größeren Schiffe vermutlich die Süderelbe wählen. Am nächsten Übernachtungshafen in Moorfleet seh‘n wir schon die Elbphilharmonie! Nur noch eine Doppelbrücke...

Markus graust vor dem Schwell im Hafen, auch Strom gegen Wind, bei ziemlicher Welle unter der Eisenbahnbrücke, volle Winddüse ... aber die Elphi winkt! Segel geborgen, Mast gelegt paddeln wir mit aller Kraft gegenan (müssen dabei immer wieder den Mast festhalten, damit er im Schwell nicht von der Mastschere fällt) – als ein Angler mit sportlichem Motorboot (bestimmt 200 PS Außenborder ;–) uns freundlich einen Schlepp anbietet. Ahh wie toll ist das denn?! Behutsam zieht er uns durch die Wellen unter der Doppelbrücke hindurch, schnell haben wir den Mast wieder gestellt, Segel oben und segeln glücklich an Rundfahrtbooten vorbei in den Cityhafen, direkt am Fuße der Elbphilharmonie. Juhu! Unsere großes Ziel Hamburg haben wir geschafft, segelnd, ohne Motor!

2020 inkus Hamburg

Unser kleines Boot tanzt im Schwell des Hafens – wie in Venedig. Wir packen Kulturbeutel und Schlafhemd in unseren Rucksack und melden uns beim Hafenmeister. Auf der Suche nach einem netten Hotel schlendern wir durch Hamburg. Natürlich hätten wir im Internet suchen können, aber so ist’s schöner. Wir genießen einen Aperol Spritz zur Begrüßung an der Außenalster, in der Sonne! Das berühmte Hotel Atlantik gegenüber ist eingerüstet – da geht vielleicht was? Improvisierte Rezeption, improvisierter Service wegen Corona und Renovierung, mit Handwerkern morgens um 6 vor dem Fenster – aber bei vollem Zimmerpreis. Die spinnen ja wohl! Gegenüber bekommen wir ein tolles Zimmer mit Blick über die Stadt, schlendern durch Sankt Georg (Kreuzberg-Feeling), essen gut und trinken im Hamburger Segel-Club einen abendlichen Absacker. Was geht‘s uns gut!

Am Montag, 13. Juli können wir nicht vor Hochwasser um 11:10 ablegen. Warm scheint die Sonne schon am Morgen, es ist Sommer – hatte ich ganz vergessen. Stade oder Glückstadt wären tolle Tagesziele. Total unübersichtliches, geschäftiges Hafengewusel – wir fädeln uns bei frischem Wind zwischen Ausflugs- und Rundfahrtbooten, Fähren, Schleppern und Containerschiffen durch den Hafen, vorbei an Stränden, Villen, Blankenese und anderen schicken Vororten auf dem einen, großen Docks am anderen Elbufer. Am Fähranleger des »Willkomm-Höfts« hören wir laute Begrüßungsmusik – für meinen »Willkomm«?! Jetzt geht es raus, Amerika ruft ... naja, fast.

Hinter dem Yachthafen Wedel weitet sich die Elbe, riesige Containerschiffe und Baggerschiffe in der Fahrrinne, aber endlich auch andere Segler. Es ist sooo schön. Um 15:30 machen wir noch 6 Knoten Fahrt, herrliche Nachmittagssonne, passieren Stadersand ... und machen einen Fehler bei der Tidenbestimmung, die kippt nämlich schon 16 Uhr, wie wir merken, nicht 17 Uhr. Wir kleben schließlich an der Tonne Pagensand Süd und kriechen kreuzend die letzten 4 Meilen gegen Wind und Strom nach Glückstadt. Auch mit Paddelunterstützung ein echt mühsames Geschäft, jede Wende treibt uns wieder zurück, unter 1 Knoten Fahrt brauchen wir nochmal 5 Stunden, bevor wir mit dem letzten Tageslicht im Vor-Hafen von Glückstadt anlegen und schnell das Bootszelt aufbauen. Ganz schön blöd – wir hätten einfach zum letzten Hafen zurücksegeln können. Stadtbummel und Anlegerbier beim Mühlenwirt. Das war unser längster Segeltag: knapp 9 Stunden für 39 sm.

Wieder was gelernt – wir planen und rechnen jetzt genauer, müssen uns unbedingt an den Tidenstrom halten. Hochwasser Glückstadt 10:15, Niedrigwasser Cuxhaven schon 14:05 – ist das zu erreichen? realisitisch? 50 Stromkilometer? Brunsbüttels alter Hafen fällt trocken – geht bis 4 Std nach HW Cuxhaven, also bis spätestens 13:30. Ottendorf NW 15:00. Bis 14 Uhr sollten wir sowieso vom Wasser sein, 6 Bft aus West sind vorhergesagt.

Mit noch leichtem Gegenstrom legen wir ab, kreuzen mit immer länger werdenden Schlägen die Elbe raus, passieren Brunsbüttel schon kurz nach 12, inzwischen dauerregnet es. und frischt auf. Wir reffen, haben das Gefühl, nicht durch die Wellen zu kommen – laut GPS machen wir aber 8 bis 9 kn Fahrt über Grund. Dann schon Ottendorf, unklar der Abzweig mit den Tonnen des Hauptfahr- und der Einfahrt ins schmalen Nebenfahrwassers mit Prikken, zu heftig die Wind- und Stromverhältnisse, da wollen wir keinesfalls bei wenig Wasser aufbrummen – und segeln weiter. Wenn die Tide kippt, bevor wir Cuxhaven erreichen, können wir immer noch umkehren ... Cuxhaven kommt in Sicht, neue Böenwalzen, aufgewühltes Wasser, Containerschiffe und deren Schwell – ich gucke auf die Ankunftszeit des GPS, ein innerer Countdown läuft ab, während es immer mehr auffrischt. Aber immerhin – dann sind wir schneller. Fast eine Stunde nach Niedrigwasser schießen wir mit unserem Schiffchen, ja das sind wir in diesem Umfeld wirklich, erleichtert in den Hafen. Die erstbeste Box nehmen wir, Wind und Schwell sind uns egal – heute soll’s ein schönes Hotelbett werden! In voller Montour steigen wir vom Boot und gehen in strömendem Regen an den auf dem Jollenslipp lungernden Robben vorbei zum Segelclub und trinken einen Pharisäer. Heute wieder ein Rekord: 31 sm in 4,5 Stunden, 10,6 kn Maximunmspeed. Wir sind tatsächlich von Potsdam bis ans Meer gesegelt!

2020 inkus Cuxx

Weitersegeln ins Watt, Richtung Büsum wäre toll (…) wir entscheiden uns für den Rückweg, Elbaufwärts und möglichst weit kommen, wenigstens Brunsbüttel oder sogar die Störmündung, morgen ist wenig Wind vorhergesagt. Ablegen können wir erst um 16:30, eine Stunde nach Niedrig Wasser (…) laufen durch alle Häfen, Fischbuden, Maritimes Museum »Windstärke 10« und stehen gedankenversunken auf dem historischen, weißen Anlegesteg am »Amerika-Kai«. Markus Urgroßvater ist als Missionar nach Indien ausgewandert, diese Auswandergefühl springt ihn hier plötzlich an, eine Stimmung von Abschied und Aufbruch ins Ungewisse umweht diesen Ort.

Wir peilen den alten Hafen von Brunsbüttel an, laut Karte auf Halbwind gut anzusteuern – vor Ort jedoch hoch am Wind, enges Prikkenfahrwasser, kreuzen unmöglich. Den zweiten Versuch brechen wir ab, es geht einfach nicht. Mit unseren Paddeln kommen wir gegen Wind und Strom nicht an, ankern und warten wollen wir auch nicht. Als wir abdrehen, kommt aus der Schleuse des Nord-Ostsee-Kanals ein Schlepper mit hoher Geschwindigkeit und enormer Heckwelle, die ich nicht gut aussteuern kann – Wasser geht über und Markus im Trapez ist pitsch naß, wie blöd. Nach dem NOK wird es viel ruhiger auf der Elbe: nur noch wenige Containerschiffe. Wir binden das Reff aus und ziehen den Spi, die Sonne steht schon tief – es ist herrlich friedlich – doch der Gezeiten-Countdown läuft schon wieder. Tonnen zählen. Störsperrwerk – ist da noch jemand der uns aufmachen würde? Mastlegen, wo können wir festmachen für die Nacht, wann kippt der Strom wirklich? Wir entscheiden uns, keine Zeit zu verschwenden und segeln durch bis Glückstadt. Bei untergehender Sonne gleiten wir leise an den Steg, bauen das Bootszelt auf und wissen wo es um 22 Uhr noch ein gepflegtes Bier gibt.

16. Juli – ein warmer Sommertag, mit leichter Brise aus der falschen Richtung. Ohne Motor ist es zu gefährlich auf der Elbe, wenn sich Wind und Strom aufheben, wie ein Korken manövrierunfähig zu treiben. Der Hafenmeister empfielt uns die »Peking« in der Peters Werft zu besichtigen, wo der legendäre »Flying-P-Liner«, eine Viermastbark, seit einigen Jahren restauriert wurde und diesen Sommer als Museumsschiff nach Hamburg zurück gebracht werden soll. Mit Leih-Rädern fahren wir über Land an die Stör, sehen das Störwerk, Kühe und Kühe und Kühe, Dörfer, essen Fischbrötchen, Hofladen, Orgelbauer, Kirchen, machen eine Fährfahrt. Eine sympatische Bäuerin auf dem Fahrrad treibt ihre Kühe in den Stall. Neugierige Schafe werfen unsere Räder um – und wir bestaunen die imposante Peking, gigantisch groß in diesem kleinen Flüsschen. Ein beschaulicher, warmer Sommertag.

2020 inkus AbendGlck

Am 17. Juli wollen wir nach Stade, von der Elbe in den Nebenfluss Schwinge hinein segeln. Für die Elbe brauchen wir Wind, für die Schwinge auflaufendes Wasser, denn es ist ein sehr schmaler Fluss, kaum zu besegeln. Schon wieder müssen wir wild rumrechnen, sind durch den leichten Wind spät dran. Bevor die Tide kippt und uns wieder raus spült, legen wir beim Segelclub SC Diamant an. Hochwasser. Netter Empfang im Club (…), eine stramme Wanderung am Abend in die Stadt. In den engen Gassen reges Treiben, flanierende Touristen, volle Tische auf der Gasse – endlich mal (fast) normales »Vor-Corona-Leben«. Als wir zurückkommen, liegt unser Boot hoch und trocken im Schlick – wirklich trocken. Wir rechnen nochmal. Morgen brauchen wir ablaufendes Wasser um aus der Schwinge zu kommen und auflaufendes auf der Elbe, um nach Wedel zu gelangen. NW 9:13 Uhr, halbe Tide, also 6:13 Uhr ablegen müßte ja locker reichen.

Wir stehen um 5:30 Uhr auf und packen in aller Eile das Zelt und alles ein – wir können zu sehen wie das Wasser, irre schnell, sinkt! Um kurz nach 6 kann ich das Ruder schon nicht mehr einhängen, wir kurbeln den Kiel hoch und paddeln wie besessen durch das ablaufende Wasser über festsaugenden Schlick aus dem Hafen. Es sind nur 200 Meter bis in die Schwinge. Geradeso geschafft! Wir machen kurz vor der Elbmündung am letzten Steg beim SV Stade fest. Jetzt erstmal Frühstücken und Kaffee kochen – wir müssen noch zwei Stunden warten, bis wir lossegeln können, elbaufwärts nach Wedel.

Bei leichter Brise und Sonnenschein kommen wir entspannt bei samstäglichem Treiben um 12 Uhr im Hafen Wedel an, slippen das Boot, putzen und packen (in brütender Hitze). Beim Abschiedssaft & Kuchen in der »Tonne« treffen wir Peter Passauer & co – das ist ein schöner Empfang. Willkomm-Höft.

Abends sitzen wir schon wieder in Potsdam auf dem Balkon. Waren wir wirklich weg?
Sind wir tatsächlich von Potsdam bis ans Meer – gesegelt?

Resumee:
Das Segeln im Gezeitenrevier ist auf eine Weise entspannend – und dann wieder stressig. Planen und warten – man ist noch abhängiger von der Natur, nicht nur Wind und Wetter, sondern die Tide bestimmt den Rhythmus, und die beeinflußt wieder Wind und Wetter – so entsteht ein kleines Zeitfenster – indem man ablegen kann, oder nochmal 12 Stunden wartet.

Inken Greisner & Markus Willkomm
Sailhorse GER 2610

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