Sonnabend, 09.09.2023, Großenbrode
Was Corona uns verwehrt hatte, sollte nun endlich umgesetzt werden: unsere Charterreise in die dänische Südsee. Ausgangspunkt sollte wieder einmal Heiligenhafen sein. Und unter dieser Annahme haben wir unser Boot gechartert; eine Hanse 460, weil diese Platz und Kojen für uns 6 ältere Männer bereit hat. Die Charterbestätigung wies als Übergabehafen Großenbrode aus, was ja eigentlich keinen großen Unterschied bedeutet.
SY: Tina-Marie (Hanse460) (Charter)
Vom 9. bis 16. September 2023 = 7 Tage (207 sm)
Reiseroute: Großenbrode – Bagenkop – Mommark – Dyvig – Olpenitz – Orth – Großenbrode
Skipper: G.-Andreas Meißner
Crew: Gerd, Norbert, Chrischan, Andreas, Enrico
Ich hatte in der Yacht Nr. 01-2022 einen Test über unser Schiff gelesen, um mich mit den Eigenschaften vertraut zu machen. Länge, Breite, Tiefgang, Verdrängung, Motorleistung, Höhe des Mastes, Ausstattung, Segeleigenschaften usw. Am Abend vor der Abreise dachte ich mir, check doch mal die Durchfahrtshöhe der Fehmarnsundbrücke…
Diese beträgt bei Normalwasser 23 m und unser Mast soll eine Höhe von 21,90 m über der Wasseroberfläche aufweisen plus Windmesser-Geber und Antenne. Oh, das wird knapp! Und so empfiehlt uns der Vercharterer (Mola Yachting GmbH) am Samstagmorgen in Großenbrode – wie nicht anders zu erwarten – doch von der Durchfahrt unter der Brücke abzusehen. Gefühlt bin ich schon 100x unter der Fehmarnsundbrücke durchgefahren, aber dass die Durchfahrtshöhe jemals ein Problem darstellen würde, hätte ich mir nicht gedacht.
Um die dänische Südsee zu erreichen, müssen wir also außen um Fehmarn herumnavigieren. Darüber hinaus verletzt sich ein Crewmitglied beim Ausrutschen zwischen Steg und Schiff so stark, dass wir den ersten Abend zur weiteren Beobachtung der Verletzung doch lieber im Hafen verbringen. Wie bei jeder Reise kredenzt uns unser Smutje Spaghetti zum Abendessen. Anschließend muss die Crew noch die Sicherheitseinweisung über sich ergehen lassen.
Sonntag, 10.09.2023, Großenbrode – Bagenkop: 48,4 sm
Der Sonntagmorgen hält eine positive Nachricht für uns bereit; denn der Verletzte schätzt die gesundheitliche Einschränkung als nicht so kritisch ein, nicht zuletzt durch dieselbe Einschätzung des Rettungssanitäters am Vorabend. Er kann die Reise mit uns antreten.
Das Wetter jedoch enttäuscht uns mit ganz schlechter Sicht – fast schon Nebel. Aber wir haben ja einen B&G Kartenplotter mit Radar an Bord, so dass wir doch ablegen können. Also nehmen wir Kurs auf Leuchtturm Staberhuk und stehen bald vor der nächsten Hürde: der neue Tunnel durch den Fehmarnbelt. Über Kanal 68 solle man unbedingt seine Durchfahrt durch das Baggergebiet ankündigen, was wir natürlich auch versuchen. Wir werden über Kanal 16 angerufen, auf Kanal 68 zu wechseln, was wir auch sofort unternehmen. Wir können auch alles hören, aber beim Sprechen gibt es nur ein „krsch-zwtschkrz“. Drei SRC-Experten an Bord gelingt es nicht, etwas Vernünftiges per UKW zu senden. Sofort rufen wir den Vercharterer über Handy an (wir sind ja noch unter Land) und schließlich erlaubt er uns, das Gerät zu öffnen: wir entdecken im Gerät einen abgebrochenen Lötkontakt und damit den Grund, warum wir nicht sprechen können. Auf UKW-Funk müssen wir also verzichten.
Diesen Sachverhalt übermitteln wir per Handzeichen dem angenäherten Fehmarnbelt-Kontrollkreuzer, der uns über Megaphon freundlich aber bestimmt anbietet, uns durch das Sperrgebiet zu geleiten. Man ist sehr freundlich mit uns und hat Verständnis. Uns ist auch klar, dass wir bei der Rückreise hier wieder durchmüssen.
Aus der Presse erfahren wir, dass „Mein Schiff 4“ hier weniger vorsichtig war und ohne Rücksicht auf Ansprache und Tonnen einfach seinen Weg durch das Sperrgebiet nahm. Ich glaube, der Kapitän wird heute noch von der Polizei vernommen…
Durch den Umweg um Fehmarn herum können wir unser Ziel Marstal nicht mehr erreichen. Was liegt auf der Route kurz davor? Bagenkop – oder von meiner Crew kurzerhand in „Bangkok“ umgetauft. Bei der Hafeneinfahrt lassen wir einem Dreimaster, aus Kiel kommend, den Vortritt und werden dafür beim Einlaufen in den Hafen mit Shantyliedern von Bord des Dreimasters „Artemis“ begrüßt. Schnell finden wir einen Liegeplatz und gehen durch den schönen Hafen spazieren, essen dänisches Eis und treffen an der Kirche die Mitfahrer der Artemis. Wir kommen ins Plaudern und es stellt sich schnell heraus, dass es sich um den Shanty Chor Berlin handelt… Da war doch etwas?
„Kennt ihr einen Norbert Lipowski? – Na klar kennen wir den, der ist nur nicht mit!“ Mein Gott, so klein ist die Welt, denke ich mir. Abends stehen etliche andere Segler, Gäste und wir auf der Pier und lauschen den Klängen des Shanty-Chors, die den ganzen Hafen beschallen.
Montag, 11.09.2023, Bagenkop – Mommark: 19,5 sm
Zum Glück haben wir genug Aufbackbrötchen mit; denn montags gibt’s in Bangkok keine frischen Brötchen. Der Wind ist schwach und kommt wie immer genau von vorn. Wir müssen uns entscheiden zwischen langsam segeln oder schnell motoren. Als Segler entscheiden wir uns für Ersteres und genießen die Ruhe.
Wir wundern uns, warum uns keine Windrichtung und -stärke angezeigt wird. Auch einen wahren Wind verheimlicht uns unsere B&G-Anlage. Offensichtlich bekommt unsere Anlage keine Signale vom Masttop – schade.
Unsere Hanse 460 ist im Frühjahr 2022 zugelassen, also gerade mal 1 ½ Jahre alt. Es ist nicht der letzte Mangel!
Plötzlich geht ein Rettungsring mit Pütz daran über Bord: unser spontanes Mann-über-Bord Manöver erfolgt. Der Rettungsring wird gerettet, nur ohne Pütz. Schnell machen wir noch eine Manöverbesprechung und schon geht es weiter. Unser Ziel Faaborg rückt in unerreichbare Ferne, aber unser Navigator hat ja genug Plan-B Häfen in petto. Also steuern wir einfach Mommark an und meine Crew klärt mich auf, dass der Hafen eigentlich „Melmac“ heißt, der Planet von Alf. Wer kennt nicht Alf? Der Leser kann sich jetzt schon vorstellen, dass es bei uns an Bord sehr lustig zu geht.
Bei mäßiger Fahrt entdecken wir plötzlich eine Heckflosse in unserem Kielwasser: ein Delphin! Er sieht zwar so aus, aber ich wurde später aufgeklärt, dass es hier in der Ostsee „nur“ Schweinswale gibt. Trotz-dem ist das Geräusch des Atmens, seine Eleganz und seine scheinbare Verspieltheit unheimlich beeindruckend. Wahrscheinlich sind wir ihm zu langsam; denn nach wenigen Minuten zieht er weiter.
Eine Stunde vor Einlaufen melden wir uns bei Hafenmeister per Handy an (UKW geht ja nicht): wir sollen kurz vorher noch einmal anrufen. Das tun wir dann auch und wer Mommark (Melmac) kennt, weiß, dass die Einfahrt nicht sehr breit ist. Vom Hafenmeister bekommen wir die Antwort: „Ich kann jetzt nicht, hier läuft gerade ein großes Boot ein!“ Wir beölen uns: „Ja, das sind wir“!!!
Ein freundlicher Herr mit leuchtender Jacke weist uns an und wir machen fest mit mehreren Springs an kurzen Seitenstegen. Heute gehen wir mal essen, direkt am Hafen und direkt an Strand. Was steht dort? Palmen!!! Na klar, wir sind ja auch in der Südsee!
Dienstag, 12.09.2023, Mommark – Dyvig: 24,8 sm
Am nächsten Morgen legen wir sauber ab und steuern zunächst nordwärts um die Insel Als herum. Der Wind nimmt zu, so dass wir uns testweise mal mit dem Reffen auseinandersetzen. Das gelingt erstaunlich gut und wir sind zufrieden, obwohl sich 64 qm Großsegel nicht ganz so leicht bewegen lassen. Weiter geht’s und wir segeln auf halben Wind, kreuzen und laufen schließlich in die wunderschöne Bucht der Dyvig unter Maschine ein.
Richtig schmal soll die Einfahrt sein, so wurden wir gewarnt, aber für uns Berliner ist das nichts Außergewöhnliches. Da wir früh genug da sind, finden wir einen geschützten Liegeplatz und lassen genug Kette; denn zur Nacht soll es aus Nord kräftig auffrischen.
Nach Abschluss dieses Manövers wie auch nach jedem Ablegen oder Anlegen gibt es einen „Ableger“ oder „Anleger“ = 1 kleines Glas Sherry!
Ein neues Crewmitglied muss hier seine Neptunstaufe über sich ergehen lassen und geht freiwillig anschließend ins Wasser.
Während wir in der Dämmerung entspannt in der Kajüte Spaß haben, sitzen wir plötzlich ohne jeden Strom da! Peng – alles dunkel – was nun? Die Maschine lässt sich starten, also könnten wir noch zu den nahegelegenen Stegen fahren, um Hilfe zu holen. Der Anker ließe sich von Hand hochziehen. Zwei Elektroingenieure an Bord machen sich auf die Suche und finden eine speziellen Sicherungsschalter, der bei niedriger Spannung der Verbraucherbatterien die nicht notwendigen Verbraucher abschaltet: dazu gehören wohl die Lampen, Kühlschrank, Radio, aber auch das Navigerät. Seit meiner Erfahrung aus dem letzten Jahr zählt ein Spannungsmessgerät immer zu meiner Ausstattung!
Als Skipper muss man immer den Plan B im Kopf haben und ich überlege schon, wie wir ohne Ankerwinsch und Navigerät nach Hause kommen. Keiner weiß, warum die Batterien so schnell schlapp machen; denn das Schiff ist ja aus 2022 und so ja wohl auch die Batterien. Aber wir starten den Motor, laden die Batterien und verzichten auf den Kühlschrank! So können wir doch entspannt weitersegeln auch mit Navigerät.
Mittwoch, 13.09.2023, Dyvig – Olpenitz: 33,2 sm
Der auffrischende Nordwind hat uns in der Dyvig in Ruhe gelassen, erlaubt uns aber nun im Alsenfjord eine rauschende Fahrt beim raumen Wind. Wir nähern uns Sonderburg, halsen einige Male und nehmen erst vor der Autobahnbrücke die Segel herunter. Die Brücke hat eine Durchfahrtshöhe von 33 m, was uns diesmal dann doch reicht. Von unten sieht es trotzdem beängstigend aus!
Vor der Klappbrücke drehen wir vor modernen Bauten unsere Warteschleifen, sehen 5 rote Lichter und dürfen passieren. Hinter der Klappbrücke machen wir fest und gehen durch die Stadt spazieren, nicht ohne leckere dänische Plunderstücke und frische Brötchen zu kaufen.
Uns steht noch ein langer Schlag bevor; denn unser Ziel heißt Olpenitz, der ehemalige Militärhafen. Maasholm kennen wir ja schon. In Olpenitz stehen schon und entstehen weiterhin eine hohe Zahl feiner Immobilien, zum Teil mit Zugang zum Strand oder mit Zugang zum Boot. Und super-tolle Yachten liegen hier auch. Wir telefonieren wieder mit dem Hafenmeister und dürfen dort anlegen, wo eigentlich „besetzt“ steht.
Beim Bezahlen gibt er uns den Tipp, das Marineschiff zu besichtigen, das an diesem Tag vor Ort liegt; denn am nächsten Morgen wäre es weg. Wir machen uns schnell landfein und werden aber an der Gangway von einer jungen Matrosin abgewiesen, wir wären zu spät. Dies nimmt ein jüngerer Mann an Bord wahr, bittet uns trotzdem aufs Schiff und bietet uns eine Führung an. Nach wenigen Minuten wird klar: es ist der Kommandant persönlich, der Kommandant des Marinenräumboots M 1090 „Pegnitz“. Der Erfolg ist, dass wir eine 2 ½-stündige intensive Führung bekommen und alles sehen, was es zu sehen gibt, einschließlich Gefechtsstand, Brücke, Maschinenraum, Maschinenleitstand, Kombüse usw. Wir unterhalten uns ausgiebig und herzlich und werden sogar noch zu einem Bier eingeladen. Wir nehmen an, es hat dem Kommandanten genauso viel Spaß gemacht wie uns; denn …
Donnerstag, 14.09.2023, Olpenitz – Orth: 43,3 sm
Am nächsten Morgen legen wir 10 Minuten vor den „Pegnitz“ ab. Sie folgt uns in gebührenden Abstand. Nachdem wir die Hafeneinfahrt verlassen haben, fährt sie noch einen Vollkreis um uns herum und rauscht dann in Richtung Eckernförde ab, während wir Kurs auf Orth nehmen.
Der achterliche Wind mit 1-2 Bft. bringt uns nicht wirklich voran und flaut sogar noch weiter ab. Die lange Fahrt von Olpenitz nach Orth unter Maschine versaut uns unseren Schnitt. Aber was soll’s; wir müssen ja nach Hause und auch noch wieder um Fehmarn herum. Orth kennen wir schon. Wir müssen im engen Hafen einmal wenden, wobei ich mich immer freue, es wieder ohne Einsatz des Bugstrahlruders zu schaffen.
Orth kennt jeder unter dem Namen „Schwanitz“ aus „Nord bei Nordwest“.
Wir gehen beim Griechen direkt am Hafen essen und schlendern anschließend noch zu „unserer“ Glühweinbude. Die bekannte Glühweinbude von Regina wird es im nächsten Jahr nicht mehr geben; denn sie gibt das Geschäft auf.
Freitag, 15.09.2023, Orth – Großenbrode: 37,7 sm
Der letzte Seetag bricht an. Wir segeln entspannt außen um Fehmarn herum, rufen zum Passieren der Fehmarnbelt-Tunnelbaustelle wieder über Telefon bei Femern A/S an und bekommen denselben freundlichen Helfer ans Rohr, der uns auch 1 Woche vorher durch das Sperrgebiets gelotst hat. „Da seid ihr ja wieder von der Tina-Marie, die mit dem defekten Funkgerät!“
Der Rest ist Genuss pur: erst hoch am Wind und dann mit raumen Wind weiter um Staberhuk herum. Wir müssen uns etwas sputen; denn um 17:30 Uhr macht die Tankstelle in Großenbrode dicht und wir müssen unser Boot ja noch volltanken.
Schließlich machen wieder pünktlich und korrekt in Großenbrode fest.
Sonnabend, 16.09.2023, Großenbrode
Am nächsten Morgen werden die Boote abgetaucht und die Übergabe findet statt. Aus unserer Sicht ist alles fein; denn wir haben keine Schäden verursacht. Aber wir weisen auf die verschiedenen Mängel hin, allen voran das defekte Funkgerät.
Wir haben für diesen Törn extra ein relativ neues Boot gechartert und sind erstaunt, dass trotzdem so viele Mängel zu verzeichnen waren. Neben den genannten Problemen ist noch die Druckwasserpumpe zu nennen, die ganz absurde Geräusche von sich gibt, auch wenn sie nicht läuft. Sie hat zwar gepumpt, aber wer weiß, wie lange noch. Ich glaube, ich habe noch nie ein Boot gechartert, auf dem die Tankanzeigen funktioniert haben. Auf dieser Reise haben wir 70 l Diesel verbraucht, aber der Tank war immer noch voll wie am jüngsten Tag.
Fazit:
Alle Mängel konnten der Stimmung in der Crew keinen Abbruch tun. Wieder haben wir viel erlebt; die schönsten Erlebnisse sind die zufälligen.
Wir hatten extrem viel Spaß und freuen uns schon jetzt auf die nächste Tour, wo immer sie uns ich hinführen wird.
PS. Nach der Rückreise hat sich in Berlin herausgestellt, dass sich das Crewmitglied beim Ausrutschen zwischen Steg und Boot mehrere Rippen gebrochen hatte. Wir haben ihn natürlich geschont, aber er hat es nicht bereut, mitgereist zu sein; denn er hätte sehr viel Spaß am Leben versäumt! (Fazit 2: habe immer eine große Packung Ibuprofen dabei!)
Dr. Gert-Andreas Meißner